Ein Kommentar von Mission Lifeline DD
Wir wurden gefragt, wie wir die aktuelle Situation in Dresden vor dem Hintergrund von wieder mehr ankommenden Flüchtlingen einschätzen. Um ehrlich zu sein – dazu können wir nicht viel sagen. Die Frage erreicht uns zu einem Zeitpunkt, als unser Schiff mit 95 geretteten Menschen an Bord – zur Hälfte Frauen, Kinder und Babys – vor Italiens Küste eine Schlechtwetterfront auf sich zurollen sieht, der das kleine Schiff vielleicht nicht wird standhalten können. Weder Malta noch Italien möchte diesen Menschen helfen. Zum gleichen Zeitpunkt versucht eines unserer Teams Medikamente sicher in ein Kinderkrankenhaus in der Ukraine zu bringen, ein anderes ist seit Wochen dabei einen Hub für Binnenflüchtlinge in Odessa aufzubauen und Menschen, die sich in Bunkern vor Putins Bomben verstecken, mit Lebensmitteln und Medizin zu versorgen. Ebenfalls zeitgleich versuchen wir alles, um Menschen in Afghanistan in „Safe Houses“ vor der Hinrichtung der Taliban zu schützen. Ein von uns unterstütztes Frauenhaus auf Lesbos versucht, das Leid von Frauen und Kindern im europäischen Internierungslager Moria zu lindern. Wovon wir sehr viel erzählen könnten, ist die Lage der Menschen dort – aber leider interessiert das in Dresden die allermeisten Bürger:innen nicht.
Sie wollen in Ruhe gelassen werden mit solchen Informationen. Sie machen sich Sorgen, dass sie etwas von ihrem „hart erarbeiteten Wohlstand“ abgeben müssen oder sich irgendwie einschränken müssen, weil vielleicht zu viele „Fremde kommen“. Längst sind auch die Menschen aus der Ukraine – zunächst noch willkommen – Hass und Hetze ausgesetzt. Erste Flüchtlingsheime brennen wieder. Pegida, Freie Sachsen und Querdenken, mit Russland- und Reichsfahnen bestückt, marschieren Hand in Hand mit Identitären und AfD auf. Alles mehrheitlich „anständige Sachsen“, sagt Herr Kretschmer dazu. Und unser OB? Sitzt königsgleich auf seinem Thron und beschäftigt sich mit sich selbst, anstatt einfach seinen Verwaltungsjob zu machen und sich um die aus unserer Perspektive allesamt nicht einfachen, aber doch lösbaren Probleme der Stadt zu kümmern. Und dazu gehört auch die menschenwürdige, sichere Unterbringung von Geflüchteten, und zwar gerade weil das hier viele hasserfüllte Lokalpatrioten nicht wollen und viele andere – die Mehrheit – den alltäglich gewordenen Hass ignorieren.
Wie wir als Flüchtlingshilfsorganisation Dresden wahrnehmen? So:
Die „Gutbürgerlichen“ dieser Stadt sind viel zu verliebt in das barocke Bild von Dresden, um bereit zu sein, den braunen Schmutz in der Stadt wahrzunehmen oder sich dem ganz und gar entgegenzustellen. Mit Positionieren haben es die Dresdner nicht so. Im Gegenteil: sie machen haufenweise „Dresden ist Bunt“ Veranstaltungen, auf denen wahlweise „Haltung oder Gesicht“ gezeigt wird – natürlich immer in der eigenen Blase. Bei Weltoffenheitsveranstaltungen versichert man sich in Dresden regelmäßig seiner selbst: Dresden ist offen, bunt, harmonisch.
Findet auch unser OB (Entschlossen für Dresden – Kompetent für Dresden – Verbindend für Dresden). Er will nämlich ein OB für alle sein, also auch für die Besorgten. Dass dieser OB beinahe zum 3. Mal „Sicherer Hafen Dresden“ verhindert hat; wen juckt’s? Dass einzig linke Gegendemonstrationen in seiner Stadt Repressalien durch Versammlungsbehörde und Polizei auszuhalten haben – normal. Statt rechten Parolen die Stirn zu bieten, wirft sich dieser OB regelmäßig dem „Volksempfinden“ an den schmutzigen Hals und repräsentiert damit das Bürgertum dieser Stadt ganz gut. Jahrzehntelang hat man den Staub in den Ecken nicht sehen wollen. Man kann den braunen Mief nicht riechen, weil man das Aroma der vollgestopften Gewölbe, Schlösser und Museen in der Nase hat. Man hört die Hassparolen nicht, weil die Opernarien zu laut sind. Es gibt einen feinen Unterschied zwischen bürgerlich und bourgeois. In Dresden hat man den vergessen.
Hier nennt man Hass „Ressentiment“, Dummheit „Besorgnis“, Feigheit „Ängste“ und wir sind natürlich zu liberal, um soziale Ungleichheit beim Namen zu nennen. Aber! Man sieht neuerdings auch, dass es Demokratiedefizite gibt. Es soll gewisse Nöte geben – aber sie verstören den Bildungsbürger eben in angemessener Weise, ungefähr so, wie er sich im Kino manchmal die Augen zuhält, wenn‘s arg wird. Empathie ist in Dresden nämlich kein Fremdwort – man redet schließlich drüber. Und natürlich ist man von Naziübergriffen und Hass betroffen. Na klar! Betroffen fühlen sich die „guten“ Sachsen vor allem selbst, von der ganzen Entwicklung, beschämend das Ganze! Die Außenwirkung! Der Schaden für die Wirtschaft! Also macht Dresden das, was Dresden am besten kann: Fassadenreparatur. Bunter Anstrich, große Bühne, viele Kerzen.
Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Tod, die unsere Solidarität brauchen? Who cares? Dresden kann schließlich nicht allen helfen. Oder?
DD / Mission Lifeline