Bei der Expertenanhörung zum Antrag “Sozial aus der Krise” im Sozialausschuss vom 10.11.2021 erklärte sich Anne Herpertz bereit, für unsere Fraktion als Sachverständige zu sprechen. Frau Herpertz ist Studentin im Masterstudiengang und leitet seit mehreren Semestern Tutorien für Bachelorstudent:innen der TU Dresden. In ihrem Redebeitrag widmete sie sich deshalb einer Bevölkerungsgruppe, welche in der Corona-Pandemie viel zu wenig Aufmerksamkeit erhielt: Studierende.
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Stadträt:innen, Anwesende und Teilnehmende,
lassen Sie mich in den nächsten Minuten das Augenmerk lenken auf die Belange von einer Gruppe, die während der Corona-Pandemie viel zu oft zu kurz gekommen ist: und zwar Studierende. Dies spiegelt sich tatsächlich auch in der Studienlage zu Studierenden während der Corona-Pandemie wider: Studien zur psychischen Verfasstheit von Studierenden gibt es kaum welche, vor allem vom zweiten Pandemiejahr mit Blick auf soziale und finanzielle Situation von Studierenden nur eine die ich gefunden habe.
Zu Beginn deshalb kurz zu meiner Funktion: Ich bin Studentin und somit auch Betroffene, ich leite jedoch auch seit drei Semestern Tutorien bei den Erst- und Viertsemestlern, viele Studis haben sich mit ihren Problemen an mich gewandt und die psychischen und finanziellen Belastungen der Studierenden kam somit oft direkt bei mir an. Folgende Problemanalyse ist also ein Zusammenspiel aus Studien sowie persönlichen Einsichten mit Blick auf die Dresdner Studierendenschaft.
Seit über 1,5 Jahren haben Studierende fast ausschließlich digitale Veranstaltungen und auch jetzt sind nur kleine Teile in Präsenz. Seit 1,5 Jahren, das betrifft mit Regelstudienzeit 50% des Bachelorstudiums, bei Mastern 75% des gesamten Studiums. Mit Blick auf die Corona-Lage steht ein möglicher Umschwung in die reine digitale Lehre wieder bevor. Es gab und gibt (!) einen massiven Mangel an sozialen Kontakten, Veranstaltungen und Erfahrungen, besonders für Studienanfangende ist dies eine nochmal belastendere Situation. Die Selbstorganisation der Studierenden ist drastisch mehr gefordert worden, die Arbeitsleistung für den/die Einzelne ist damit auch gestiegen. Außerdem sorgt die Überlappung von Lern- und Lebensort – also die eigenen vier Wände – für weitere psychische Belastungssituationen, weil beispielsweise keine ungestörte Lernumgebung gegeben ist und die Grenze zwischen Freizeit und Studium verwischt. Daraus folgt ein gestiegenes Einsamkeitsgefühl bei Studierenden, Motivations- und Orientierungsverluste, massiver Druck, die (Angst vor) oder tatsächlicher Anschlussverlust, Studienabbruch und Studienzeitverlängerung sowie eine dauerhafte Ungewissheit Semester um Semeter, wie es weitergehen könnte. Aus dem Senat bekam ich die Rückmeldung, die psychosoziale Beratung der TUD deutlich erhöhten Zulauf erhält und langsam an Grenzen stößt.
Ein zweiter Block betrifft ökonomische Auswirkungen der Coronakrise auf Studierende. Viele Studierende haben ihren Job verloren, was sich vielleicht inzwischen wieder entspannt hat, wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass in dieser Zeit und immernoch Mehrausgaben nötig waren und sind, Schulden angehäuft und Kredite aufgenommen wurden, weil die Hilfen vom Bund schlichtweg kaum hilfreich waren, und deshalb Probleme mit neuem Joberhalt nicht einfach weg sind. Auch Initiativen einiger Stadträtinnen im Sinne von städtischen Notfallhilfen bekamen keine Mehrheit. In der Folge sind viele Studierende zu ihren Eltern zurückgezogen, um Geld zu sparen, andere sind gar nicht erst in ihre Studierstadt gezogen, weil es für digitale Lehre nicht nötig war. Was für junge Menschen bedeutet? In erster Linie sind das massive Autonomieeinschränkungen, verbunden damit, dass man in der vermutlich „besten Zeit seines Lebens“ alle wichtigen Erfahrungen verpasst und 1,5 Jahren zuhause sitzt . Zusammen mit der potenziell längeren Studierzeit gibt es dann absehbar auch Engpässe bei den Wohnheimsplätzen.
Die wahrscheinlich einzige vergleichende Studie (Juli 2020 und Juni/Juli 2021) der Universitäten Hildesheim und Münster[1] umfasst dabei nun Erwartbares: Keine der Problemlagen hat sich wirklich verbessert, einige haben sich jedoch verschärft.
Der fehlende direkte Kontakt zu anderen ist immernoch ein großes Problem. Auch haben sich die Mehrausgaben durch die Pandemie nicht verändert.
Besonders eindrucksvoll sind diese Antworten: Der Anteil derer, die der Aussage „Aufgrund der Pandemie sind bei mir seelische Beschwerden aufgetreten“ voll zustimmt, ist im Laufe eines Jahres nochmal um zehn Prozent gestiegen. 65 % statt davor 55% der Studierenden stimmen dieser Aussage zu. Aber auch körperliche Beschwerden sind gestiegen. Und auch die Belastung durch die finanzielle Situation hat sich bei weitem nicht in Luft aufgelöst. Der Anteil derer, die entlastet durch rein digitale Semester sind, liegt bei nur einem Viertel der befragten Studierenden.
Bevor ich zu möglichen Lösungen komme, lassen sie mich noch etwas vorwegnehmen. Es ist einfach zu sagen, dass alles, was mit Studierenden zutun hat, Landes- oder Bundesaufgabe ist. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Studierenden vor Ort auch Dresdner:innen sind und damit auch eine gewisse Aufgabe für die Stadt daraus erwachsen sollte. Der verminderte Zuzug 2020 sollte auch ein Signal für die Stadt sein. Ich schlage deshalb folgende, teils einfach umzusetzende Handlungsmöglichkeiten vor:
– Eine Umzugsbeihilfe in angemessener Höhe wiedereinführen kann ein Anreiz, aber auch vor allem ein Entlastungsfaktor zum Zuzug in die Stadt Dresden werden.
– Das Beratungsangebot mit Blick auf die Belange von Studierenden müsste intensiviert und psychosoziale Unterstützungsleistungen ausgebaut werden.
– Die Stadt könnte Studierenden deutlich veminderten oder gar kostenfreien Eintritt für einen Zeitraum zu städischen Bildungs-, Sozial- und Kulturangeboten bieten.
– Auch gäbe es die Möglichkeit, kostenfreie Veranstaltungen anzubieten, die sich direkt an Studierende richten, um zumindest einen Teil der verpassten Erlebnisse aufzuholen und wieder Anschluss an die Studierendenschaft zu finden.
– Auch wäre die Unterstützung der Stadt bei Verhandlungen zum Studi-Ticket und bei der Liegenschaftspolitik (in Bezug auf attraktive Orte für mögliche Studentenwohnheime) ein Wunsch, der von Seiten des Senats und Sturas der TUD geäußert wurde.
Am meisten werbe ich für die Wiedereinführung einer Umzugsbeihilfe, weil es eine recht unkomplizert schnelle Hilfe ist, die Studierenden erleichtert in die Stadt zu ziehen bzw. bei ihren Eltern auszuziehen und gleichzeitig finanziell etwas entlastet. Dabei weise ich nochmal darauf hin, wie sich finanzielle Situationen auf die Psyche auswirken.
Ich möchte zum Ende nochmal anmerken: Die sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Studierende verpuffen nicht einfach innerhalb eines Semesters in halb-Präsenz. Sowohl sozial-psychologische als auch finanzielle Aspekte – man denke an dauerhafte psychische Auswirkungen oder Sorge wegen längeren Studierzeiten und aufgenommenen Krediten oder familiäre Verpflichtungen neben dem Studium – all diese Sachen regeln sich nicht von selbst mit ein bisschen Zeit. Meine abschließende Bitte ist also, sehr geehrte Stadträtinnen: Bedenken Sie also bei Ihren Planungen und Anträgen auch die Situation von Studierenden, die schon viel zu oft vergessen wurden.
[1] Besa, Kris-Stephen, Dorothee Kochskämper, Anna Lips, Wolfgang Schröer, und Severine Thomas. 2021. Stu.diCo II – Die Corona Pandemie aus der Perspektive von Studierenden DOI: https://doi.org/10.18442/194.