Mit der Begründung unser Antrages „Modellprojekt zur legalen Abgabe von Cannabis“ legten wir den Fokus auf die gesundheitlichen Aspekte, sprich die Positionen von anerkannten Akteuren des Jugendschutzes und der Suchtprävention, welche sich eindeutig gegen die Fortsetzung der Kriminalisierung aussprechen. Dem gegenüber verfasste das Gesundheitsamt eine ausschließlich ablehnende Stellungnahme. Das verwundert – jedoch nur so lange, bis man diese Stellungnahme einer Überprüfung unterzieht. Es gibt fast keinen Satz dieses Schriftstückes, der einem FaktenCheck standhält.
Betrachtet man die Legalisierung von Cannabis aus der Perspektive des Gesundheitsschutzes, so stellen sich im Wesentlichen zwei Fragen: Steigt der gesundheitlich bedenkliche Cannabis-Konsum im Zuge einer Liberalisierung der Drogenpolitik? (bzw. auch umgekehrt: Senkt die Illegalität den Konsum?) Nimmt die Gefährdung insbesondere Kinder und Jugendlicher zu? In den vergangenen Jahrzehnten hat es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema gegeben. Die Auswirkungen liberaler Drogenpolitik, in welcher Cannabis-konsum entpönalisiert, entkriminalisiert oder legalisiert wurde, sind in verschiedensten Studien untersucht worden.
Die Legalisierung von Cannabis würde zu einer weiteren Verharmlosung des Konsums und einer Senkung der Hemmschwelle Cannabis zu konsumieren, vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, beitragen.
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Eine Behauptung, die man einfach mal aufstellen kann. Bislang konnte sie jedoch nicht belegt werden. Zum Beispiel die vom Gesundheitsamt selbst angeführte Studie[1] kann dies nicht bestätigen. „Bei Jugendlichen wurde kein Anstieg des Marihuanakonsums oder des häufigen Konsums nach dem Inkrafttreten der RML [Recreational marijuana legalization] festgestellt.“
Die „Legalität“ von Substanzen Ist konnotiert mit einer Wahrnehmung als „harmlos“. Dies trifft auf Cannabis nicht zu und sollte aus Sicht des Amtes für Gesundheit und Prävention auch erkennbar bleiben. Ein von Experten entwickelter „harm score“ zur Klassifizierung des Schadenpotenzials verschiedener Substanzen, der verschiedene Dimensionen (z. B. gesundheitlich, sozial, ökonomisch) einbezieht, führt Cannabis hinsichtlich seines Schadenspotenzials immerhin auf Rang 8 von 20 [1]. In Hinblick auf die gesundheitlichen Auswirkungen ist belegt, dass besonders der Konsumbeginn im Kindes- und Jugendalter, d. h. bei nicht abgeschlossener Hirnreife, zu andauernden Einschränkungen der Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit führen kann. Zudem können durch den Konsum hirnstrukturelle Veränderungen beobachtet werden. Da die Hirnentwicklung erst mit einem Lebensalter von Mitte 20 Jahren weitgehend abgeschlossen ist, sind mögliche Schädigungen nicht auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt. Bronchopulmonale und kardiovaskuläre Nebenwirkungen des Cannabiskonsums sind beschrieben [2]. Darüber hinaus zeigten wissenschaftliche Studien bei Konsument*innen einen deutlichen Anstieg des Risikos für psychotische Störungen und nicht zuletzt natürlich für die Entwicklung eines cannabisbezogenen Abhängigkeitssyndroms. Im Jahr 2020 suchten 487 Dresdner*innen aufgrund von Cannabis Hilfe in einer Suchtberatungs- und Behandlungsstelle. 152 Dresdner*innen mussten 2019 aufgrund von Cannabiskonsum stationär behandelt werden.
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„Die „Legalität“ von Substanzen ist konnotiert mit einer Wahrnehmung als „harmlos“, eine Aussage, die in ihrer Pauschalität mehr Fragen aufwirft, als sie Antworten gibt. Fügt man dem Satz die Eingrenzung „in vielen Köpfen“ wieder hinzu, wie sie, in der augenscheinlich herangezogenen Positionierung des Deutschen Städtetages[2] zu einer diesbezüglichen Anhörung im Bundestag noch enthalten ist, bekommt er einen angemesseneren Wahrheitsgehalt und macht gleichzeitig die Beliebigkeit deutlich. „In wie vielen Köpfen?“, fragt sich der geneigte Leser. Wissen auch die rund 4 Mio. kriminalisierten Cannabiskonsumenten in Deutschland davon? Und wieso denke z.B. ich nicht, dass Alkohol, Nikotin und Zucker „harmlos“ sind? Ist in vielen Köpfen die „Illegalität“ von Substanzen nicht eher mit „reizvoll“ assoziiert? Inwiefern hat die „Illegalität“ den Konsum verhindert, wenn doch dadurch die Substanz als „gefährlich“ konnotiert ist?
Abschließend noch die mit der Behauptung des Gesundheitsamtes schwer vereinbare Einschätzung der Drogen- und Suchtkommission des Bundesministeriums für Gesundheit: „Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit der Lenkungswirkung von und der Verhaltenssteuerung durch Recht beschäftigt. Die Ergebnisse dabei sind insgesamt eher entmutigend. Viele der dem Recht zugeschriebenen Folgen oder Ergebnisse lassen sich nicht oder durch andere als rechtliche Mittel besser (z.B. mit weniger Nebenwirkungen) erreichen. Dies gilt insbesondere für die verhaltenssteuernde Wirkung des Strafrechts, wo spezial- und generalpräventive Effekte nur bedingt nachzuweisen sind. Zwar hat das Strafrecht insgesamt eine positive generalpräventive Funktion in dem Sinne, dass es die Normtreue der Normtreuen (also der „Anständigen“) verstärkt; […]“[3]
Der „Harm Score“: Ausgerechnet David Nutts „Harm Score“ als Argument für die Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten heranzuziehen, ist an sich schon bemerkenswert. David Nutt fordert in Bezug auf psychotrope Substanzen Aufklärung statt Kriminalisierung, da er aufgrund von wissenschaftlichen Studien zu der Einschätzung kommt, dass alle psychotrope Substanzen schädlich seien, jedoch nicht gleich schädlich, weshalb jeder mündige Bürger die Möglichkeit haben sollte, informierte Entscheidungen über seinen Konsum zu treffen.[4] Weiterhin ist er davon überzeugt, dass die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten meist mehr Schaden anrichtet, als es die Drogen selbst tun. Nutt kommt nach seinen Studien zu dem Schluss, dass das Rauchen von Cannabis nur ein „relativ kleines Risiko“ für psychotische Erkrankungen durch Cannabis darstellt.[5] So wurde exakt dieser „Harm Score“ erstellt, um besser zwischen der potentiellen Schädlichkeit unterschiedlicher Drogen differenzieren zu können, u.a. damit politische Entscheidungs-träger leichter die Bewertung aufgrund von evidenzbasierten Kriterien treffen können.[6]
Im nächsten Abschnitt werden gesundheitliche Risiken aufgeführt. Dass insbesondere für Kinder und Jugendliche Risiken durch den Cannabiskonsum entstehen, steht nicht in Frage. Genau deswegen ist wirksame Präventionsarbeit unerlässlich. Die ansteigenden Konsumentenzahlen der letzten Jahrzehnte zeigen jedoch, dass die Illegalität kein geeignetes Mittel ist, den Konsum zu verhindern. Wohingegen sich zu bestätigen scheint, dass die Altersbeschränkung durch eine regulierte Abgabe einen positiven Einfluss hat. „Unsere Ergebnisse in Bezug auf den Konsum stimmen mit der Verfügbarkeitstheorie überein: Da Marihuana erst ab 21 Jahren legal ist, haben wir erwartet, dass sich neue Konsumenten auf diejenigen konzentrieren, für die sich der Zugang am meisten verbessert hat (d.h. Erwachsene) und nicht auf Jugendliche.“[7] Zum „deutlichen Anstieg des Risikos für psychotische Störungen“ muss man festhalten, dass dieser schlichte Kausalmechanismus durchaus einer genaueren Betrachtung und Einordnung bedarf.[8] Sowohl die Häufigkeit des Konsums als auch eine Vielzahl von anderer Faktoren (Konsum anderer Drogen, sozioökonomisches Umfeld, schwierige Kindheit, genetische Vorbelastung)[9] sind ausschlaggebend. Die WHO ordnet das Risiko wie folgt ein: „Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die Cannabis konsumieren, wird nie eine psychotische Störung entwickeln, und diejenigen, die dies tun, werden wahrscheinlich eine genetische Anfälligkeit für eine durch Cannabis induzierte Psychose haben.“[10] Nichtsdestotrotz deutet vieles darauf hin, dass der (in den letzten Jahren zunehmende[11]) THC-Gehalt großen Einfluss hat. Genau dies spricht für eine Legalisierung, da nur durch eine regulierte Abgabe eine Kontrolle stattfinden kann. In Deutschland galten 2018 rund 0,4% der Bevölkerung als cannabisabhängig (Cannabiskonsumenten insg. 7,2%)[12]. Zu den 0,09% der Dresdner, die Beratungsstellen aufsuchten und den 0,03% die sich in stationäre Behandlung begeben mussten, sei angemerkt, dass Dresden entweder deutlich weniger Menschen Suchtprobleme haben als der Bundesdurchschnitt vermuten lässt oder ein Großteil der Betroffenen keine Hilfe in Anspruch nahm oder bekam. Dass die Kriminalisierung dienlich ist, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, darf bezweifelt werden.
Dass es unerwünschte Legalisierungsfolgen geben kann, ist inzwischen wissenschaftlich gut belegt:
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• Kanada hat im Oktober 2018 als zweites Land der Welt den Anbau, Verkauf und Konsum von Cannabis legalisiert. Die Zahl der Erstkonsumenten ist seitdem deutlich gestiegen. Laut einer Studie der kanadischen Statistikbehörde (National Cannabis Survey) gaben 646.000 Konsumenten an, von Januar bis März erstmals Cannabis probiert zu haben. Im ersten Quartal des Vorjahres waren es nur halb so viele: 327.000 Menschen. Damals war die Droge noch nicht legal [3]. Auch der Schwarzmarkt wurde nicht wie gewünscht ausgetrocknet [4].
Völlig entkontextualisiert wirft das Gesundheitsamt hier ein weiteres Mal der eigenen Meinung dienliche Bröckchen vor die Füße des geneigten Lesers. Entgegen des erweckten Eindrucks, es habe einen rasanten Anstieg, ja gar eine Verdopplung gegeben, ist der Bevölkerungsanteil derjenigen, die Cannabis probiert haben, in Kanada um ca. 4% gestiegen und dies hauptsächlich direkt nach der Legalisierung. Den größten Anteil machen dabei die 45 bis 60-Jährigen aus. Richtet man den Blick auf die besonders zu schützende Gruppe der Jugendlichen, dann „scheint der Cannabiskonsum unter Jugendlichen in Kanada bisher nicht deutlich zugenommen zu haben.[…] Die ersten Ergebnisse aus Kanada stehen im Einklang mit Studien über die Auswirkungen einer veränderten Cannabispolitik auf die Prävalenz bei Jugendlichen in anderen Ländern.“[13] und weiter „Eine systematische Überprüfung und Metaanalyse (Melchior et al., 2019), in der die Auswirkungen der Liberalisierung des Cannabiskonsums (d. h. Länder, in denen der Cannabisbesitz entkriminalisiert oder für den medizinischen oder nichtmedizinischen Gebrauch legalisiert wurde) für unter 25-Jährige untersucht wurden, prüfte 41 Studien und kam zu dem Ergebnis, dass die Liberalisierung der Cannabiskontrolle insgesamt „nur geringe Auswirkungen auf die tatsächlichen Konsummuster unter jungen Menschen zu haben scheint (2019).“
Der, in ihrer Schlichtheit dümmlichen, Feststellung „Auch der Schwarzmarkt wurde nicht wie gewünscht ausgetrocknet.“ entgegnet Kanada folgende Übersicht[14]:
• in den USA wurde in Bundesstaaten, die sich für eine Legalisierung für Personen ab 21 Jahren entschieden hatten, in der Folge bei den 12 – 17-jährigen Befragten ein um 25 % stärkerer Anstieg in den Zahlen Abhängiger beobachtet als in Staaten ohne Legalisierung. In der Gruppe der Jugendlichen, die schon vor der Legalisierung konsumierten, stieg der Anteil der Abhängigen von 22,8 auf 27,2 %. Bei den 18 – 25-Jährigen wurde keine Beeinflussung des Konsums durch die Legalisierung festgestellt, bei den ab 26-Jährigen jedoch eine Erhöhung der Zahl derer um 28 %, die im vergangenen Monat zum Joint gegriffen hatten und der Zahl derer, die gewohnheitsmäßig konsumierten (max. 10 Abstinenztage im Monat), um 24% [5].
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Dass es mehrere Studien aus den verschiedenen US-Bundesstaaten gibt, die keine signifikante Zunahme oder gar eine Abnahme des Cannabiskonsums durch Jugendliche nach der Legalisierung feststellen, sei nur erwähnt.[15] Ebenso sei aus der zitierten Studie[16] zitiert „Bei Jugendlichen wurde kein Anstieg des Marihuanakonsums oder des häufigen Konsums nach dem Inkrafttreten der RML festgestellt.“ Auch hier noch eine Einordnung: Der Anstieg von 25% ergibt sich aus einer Veränderung von 2.18% zu 2.72% (2006/2018) der Befragten, bei denen Cannabiskonsumstörungen angenommen werden. Nicht irrelevant ist auch die durch die Autoren selbst herausgestellte begrenzte Aussagekraft der Studie.[17]
• Eine Studie, die über 38 (europäische und nordamerikanische) Länder hinweg Zusammenhänge zwischen Cannabis-Liberalisierung und Cannabis-Konsum bei Heranwachsenden untersuchte, fand einen Zusammenhang von liberaler Cannabispolitik und erhöhten Nutzungsraten („jemals“, „Im letzten Jahr“ und „regelmäßig“) bei Heranwachsenden [6].
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Da findet das Gesundheitsamt schon eine Studie, die ihrem Weltbild entspricht und dann hält ausgerechnet diese, einer Überprüfung[18] aufgrund der eigenen Zahlen und Berechnungsmethoden nicht stand und müsste in ihrem Fazit gar ins Gegenteil verkehrt werden. „Diese Analyse deutet darauf hin, dass eine korrektere Zusammenfassung der Analyse lauten würde, dass „Liberalisierung“ nicht mit einem höheren Konsum unter Jugendlichen verbunden ist und dass das Gleiche sowohl für die Entkriminalisierung als auch für die Depenalisierung gilt.“[19] Was wiederum eine vergleichbare Analyse[20] bestätigt, welche zu dem Schluss kommt, dass „zu den stärksten und konsistentesten Ergebnissen gehört, dass die Abschaffung von Strafen für den Besitz von Drogen für den Eigengebrauch nicht mit einem höheren Drogenkonsum verbunden ist.“
Gerade in Hinblick auf aktuelle Daten des Statistischen Landesamtes, die für Dresden nach jahrelangen Zuwachsen der stationären Behandlungsfälle seit 2012 erstmalig wieder einen Rückgang um 3,2 % zu zeigen [sic!], wären Legalisierungsbestrebungen aus Sicht des Amtes für Gesundheit und Prävention gefährlich.
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Gerade im Hinblick auf die Daten des Statistischen Landesamtes kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Kriminalisierung keinen positiven Effekt auf die Zahl der Behandlungsfälle hat. Inwiefern ein Rückgang, trotz anhaltender und präsenter Legalisierungsdebatte, ein Festhalten an der offensichtlich wirkungslosen Drogenpolitik bestätigt, ist nicht nachvollziehbar.
Aus der kritischen Betrachtung der Aikoholsituation lässt sich ebenfalls ableiten, dass Legalisierung und Entkriminalisierung auch bei Cannabis nicht die erhoffte Pauschallösung wäre: Alkohol als legale Droge ist in unserer Gesellschaft überall präsent, breit akzeptiert – und dennoch sehr gefährlich. Sie ist der häufigste Grund von Krankenhauseinweisungen männlicher Dresdner ab 18 Jahren. Sie macht allein fast die Hälfte aller Beratungsanliegen In Dresdner Suchtberatungsstellen aus. Sie erreicht trotz aller Präventionsbemühungen problemlos auch Kinder und Jugendliche, obwohl frühestens ab 16 Jahren freigegeben.
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Zunächst muss hier gefragt werden, wer eine „Pauschallösung“ für welche Probleme erhofft? Die Legalisierung von Cannabis verspricht nicht, jeglicher Probleme in Verbindung mit Cannabis Herr zu werden, sondern den zusätzlichen Schaden durch Strafverfolgung zu beenden und durch die Regulierung des Verkaufs staatlichen Einfluss zum Schutze der Konsumenten zu erlangen. Des Weiteren kann man die Kriminalisierung, welche das Gesundheitsamt für die „Pauschallösung“ zu halten scheint, nach jahrzehntelangen Erfahrungen als gescheitert bezeichnen. Ein positiver Einfluss durch Repression auf den Cannabis-Konsum ist nicht auszumachen. Ganz im Gegenteil sehen die meisten Akteure der Suchtprävention durch die drohende Strafverfolgung und die damit verbundene Tabuisierung und Stigmatisierung ihre Arbeit negativ beeinflusst und plädieren daher für Entkriminalisierung. „Eine notwendige präventive, beratende und therapeutische Bearbeitung problematischer Cannabiskonsummuster kann durch den Wegfall drohender strafrechtlicher Maßnahmen verbessert werden, weil das Risiko der Strafverfolgung und die damit verbundene Tendenz der Konsumgeheimhaltung wegfällt [sic!]. Vor allem Früh-erkennung und Frühinterventionen könnten so verstärkt wahrgenommen werden. Es gibt zur Zeit keine fundierten Hinweise darauf, dass durch eine staatlich regulierte, kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten an Erwachsene ein dauerhaft starker Anstieg des Konsums, insbesondere des problematischen Cannabiskonsums, zu erwarten wäre.“[21]
Der Vergleich des unterschiedlichen Umgangs mit Alkohol und Cannabis insbesondere in Hinblick auf deren gesundheitliches Schadenspotential (Harm Score) dient in erster Linie der rechtlichen Argumentation (Gleichbehandlung) und der damit verbundenen Legitimität und Akzeptanz staatlichen Handelns. Es geht also auch um ein Gerechtigkeitsempfinden, das – der Unredlichkeit der Stellungnahme zum Trotz – auch dem Gesundheitsamt unterstellt werden darf. Offensichtlich ist auch ein deutlicher Hinweis auf die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland von Nöten. Diese gerne auch als „freiheitlich“ bezeichnete Ordnung[22] garantiert nicht nur das Grundrecht auf freie Entfaltung, sondern formuliert auch Maßstäbe wie Verhältnismäßigkeit und Rechtsgleichheit. Die Ausführungen zu Alkohol nehmen wir daher als klares Bekenntnis zur Prohibition bzw. konsequenten Verfolgung und Bestrafung aller Rauschmittelkonsumenten. Ich schlage daher vor, dass das Gesundheitsamt beim Oberbürgermeister anfängt und auf dessen Empfängen den Ausschank und Konsum jeglicher Alkoholika ebenso untersagt, wie das Rauchen im Umfeld. Zur Umsetzung empfehle ich den Einsatz der Besonderen Einsatzgruppe des Gemeindlichen Vollzugsdienstes. Dass Veranstaltungen wie z.B. das Stadtfest und der Striezelmarkt zukünftig abstinent sein müssen, versteht sich von selbst.
Die Sucht- und Drogenpolitik der Stadt Dresden ist an das 2015 einstimmig vom Stadtrat beschlossene Strategiepapier zur Suchtprävention gebunden (V0327/15) [7]. Dieses legt bis 2025 den Rahmen für die Suchtprävention in Dresden fest. Es ist der Perspektive verpflichtet, dass jede psychotrope Substanz, ob legal oder illegal, schädliche gesundheitliche Auswirkungen sowie Auswirkungen auf die Sicherheit und Ordnung haben kann und insofern eine isolierte Prävention, die sich gesondert auf eine Substanz (z. B. Cannabis) fokussiert, nicht sinnvoll ist. Es wird stattdessen eine Gesamtstrategie verfolgt, bei der es zuvorderst darum geht, dass konsequente Präventionsarbeit bezüglich jeglichem Konsum psychotroper
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Substanzen geleistet wird. Der rechtliche Status ist dabei nachrangig. Für diese konsequente Suchtprävention, die auch die Deutsche Hauptsteile für Suchtfragen e. V. (DHS) fordert [8,9], fehlt ein weitgehend GKV (Spitzenverband Bund der Krankenkassen)-unabhängiges Budget für Suchtprävention.
Diese eigenwillige Interpretation des Strategiepapiers, dass man sich mit einzelnen Drogen nicht auseinandersetze, weil man eine Gesamtstrategie habe, ist wenig eingängig. Die suchtpräventiven Maßnahmen im Dresdner Suchtbericht[23] sind eher überschaubar. Was man den 2,56 Vollzeitfachkräften (2015)[24], welche die Stadt dafür finanziert, schwerlich vorwerfen kann. Eine umfassende Auseinandersetzung, wie es um die Dresdner Suchtprävention bestellt ist, ist nach den erschütternden Erkenntnissen aus dieser obskuren Stellungnahme des Gesundheitsamtes zwingend.
Das Schadenpotenzial der „legalen“ Drogen wie z. B. Alkohol und Nikotin ist unbestritten sehr hoch und man kann anhand dessen hinterfragen, warum diese einen anderen rechtlichen Status haben als die „illegalen Drogen“. Als Konsequenz aber zu ziehen, dass Cannabis mit ebenfalls nachgewiesenem Schadenpotenzial (nur einem etwas anderen) diesen Legalstatus ebenfalls haben sollte, ist verkürzt. Man könnte schließlich auch andersherum fragen, ob nicht Alkohol und Nikotin regulatorisch restriktiver gehandhabt werden sollten. Die eigentliche Hauptfrage, ist, s. Punkt 5, wie konsequente, suchtmittelübergreifende Suchtprävention dauerhaft und strukturell verankert werden kann.
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Siehe 5 & 8)
Die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) wird im Antrag sehr selektiv zitiert, wodurch der Gesamtkontext verloren geht. Die DG-Sucht spricht sich im Fazit ihrer Stellungnahme zur Legalisierungsdebatte des nichtmedizinischen Cannabiskonsums [10] „gegen eine vorschnelle Entscheidung zur Legalisierung von Cannabis zum Freizeitgebrauch aus. Überlegungen zu einer Legalisierung sollten aus der Sicht der DG-Sucht von größter Sorgfalt begleitet werden. Zusammenfassend sind dabei folgende Aspekte von besonderer Bedeutung:
Gesundheitsamt
• Schutz vor den Gefährdungen durch den Konsum
• Reduzierung des Konsums durch Regulierung von Angebot und Nachfrage
• Vermeidung von Kriminalisierung der Konsumenten
• Besonderer Schutz von Kindern und Jugendlichen und weiteren Risikogruppen
• Intensivierung von Forschung, Prävention und Behandlung cannabisbezogener Störungen“
Das Zitat aus der Antragsbegründung: „Unter dem Aspekt des Jugendschutzes und der Suchtprävention stellt die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie fest „Die Ungleichbehandlung der illegalen Droge Cannabis und der legalen Substanzen Alkohol und Tabak lässt sich aufgrund der Befundlage zu negativen Konsequenzen dieser Substanzen nicht rechtfertigen. […] Im Hinblick auf die Morbidität und Mortalität auf Bevölkerungsebene müssen die Substanzen Tabak und Alkohol derzeit als gefährdender eingestuft werden. […] Eine Kriminalisierung von Konsumenten lehnt die DG-Sucht ab und fordert hier Änderungen an der bisherigen Regelung.“2““[25]
Was an einem noch zu konzipierenden Modellprojekt „vorschnell“ ist, muss das Gesundheitsamt noch erklären. Ebenso, wie es möglich sein soll, die Forderung der DG-Sucht umzusetzen und das Angebot ohne eine legale Abgabe zu regulieren? Oder wie man die Kriminalisierung von Konsumenten durch völlig irrationales Festhalten an der Kriminalisierung der Konsumenten vermeidet?
Es ist nicht Aufgabe der Landeshauptstadt Dresden, wissenschaftlich begleitete Modellprojekte zur Änderung von Bundesgesetzen zu initiieren. Die Landeshauptstadt Dresden kann gegenüber der gesamtdeutschen Rechtslage keine Sonderstellung einnehmen. Wenn überhaupt, handelt es sich um eine Diskussion auf Bundesebene. Die Landeshauptstadt Dresden könnte, unterstellt es würde zu einem Modellprojekt kommen, zu einem Hotspot mit überregionaler Strahlkraft werden. Das ist nicht zu befürworten.
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Ob es die Aufgabe der Landeshauptstadt Dresden ist, wissenschaftlich begleitete Modellprojekte zu initiieren, entscheidet im Rahmen der rechtlichen Rahmenbedingungen der Stadtrat. Diese sind gegeben[26], was nicht zuletzt vergleichbare Anträge in verschiedensten Kommunen und die Zulassung dieses Antrags beweisen. Dass das Gesundheitsamt bei einem Thema von solchem öffentlichen Interesse meint, eine Diskussion auf kommunaler Ebene ausschließen zu können, lässt Zweifel an dessen Verständnis für das kommunale Selbstverwaltungsrecht aufkommen.
Nachdem die Falschdarstellungen und -behauptungen, Einseitigkeit, Verzerrungen sowie haltlosen Spekulationen (Punkt 1-9 der Stellungnahme) widerlegt sind – Bitte überprüfen Sie die Quellen – stellen sich einige weitreichende Fragen abseits der Frage zum Umgang mit Cannabis, da zu bezweifeln ist, dass es sich hier um eine einmalige Ausnahme handelt.
[1]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6865220/
[2]https://www.bundestag.de/resource/blob/848284/1d05a2d21cac215691d616d141fd28fd/19_14_0354-2-_Deutscher-Staedtetag-Cannabis-data.pdf
[3]https://hanfverband.de/sites/default/files/dsk_stellungnahme.pdf
[4]https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2014-04/drogenkonsum-warum-drogen-nehmen
[5]http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk/8334774.stm
[6]https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21036393/ „These findings lend support to earlier work from both UK and Dutch expert committees on assessment of drug harms, and show how the improved scoring and weighting approach of MCDA increases the differentiation between the most and least harmful drugs.“
[7]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6865220/ (vom Gesundheitsamt angeführte Studie, siehe 1
[8]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8315217/
[9]https://www.quarks.de/gesundheit/drogen/loest-cannabis-konsum-eine-psychose-aus/
[10]https://www.who.int/medicines/access/controlled-substances/Cannabis-and-cannabis-resin.pdf
[11]https://www.konturen.de/kurzmeldungen/thc-konzentration-steigt-cbd-gehalt-bleibt-stabil/
[12]https://www.dhs.de/suechte/illegale-drogen/zahlen-daten-fakten
[13]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8315217/
[14]https://publications.gc.ca/collections/collection_2021/statcan/11-627-m/11-627-m2021043-eng.pdf
[15]https://www.bundestag.de/resource/blob/675688/4ba9aed6de8e9633685a1cdc2d823525/WD-9-072-19-pdf-data.pdf
[16]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6865220/ (siehe 1)
[17]“This study has limitations. First, the study relied on self-reported marijuana use, and the social desirability to report use may change after legalization. However, the use of audio, computer-assisted self-interviews reduces these concerns because respondents provided confidential self-reports without interacting with an interviewer.29 Second, frequency of use and CUD are only 2 of the important dimensions of marijuana use; future studies should examine additional measures, for example, frequency within days and tetrahydrocannabinol potency in marijuana products, to comprehensively examine how RML affects marijuana use. Third, this study examined short-term changes in marijuana use after RML enactment; once data become available, future studies should examine longer-term changes in marijuana use, for example, after commercialization. Fourth, NSDUH uses DSM-IV criteria to measure CUD rather than the current DSM-5 criteria. Hence, the CUD definition does not include cravings or cannabis withdrawal. Fifth, NSDUH excludes people who are homeless or residing in institutions, potentially underestimating the prevalence of marijuana use and related disorders.“
[18]https://kar.kent.ac.uk/72331/1/Stevens%202019_preprint.pdf
[19]https://journals.plos.org/plosone/article/comment?id=10.1371/annotation/47d374cf-4895-4a55-ba84-3bdd7b458aa9
[20]https://psycnet.apa.org/record/2013-00633-001
[21]http://www.sucht.org/fileadmin/user_upload/Service/Publikationen/Thema/Position/GVS_Cannabispapier.pdf
[22]https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html
[23]https://www.dresden.de/media/pdf/gesundheit/SPDi/sucht/Suchtbericht_2020.pdf
[24]https://www.dresden.de/media/pdf/gesundheit/SPDi/sucht/Sucht_Strategiepapier_2015_neu.pdf
[25]https://www.dg-sucht.de/fileadmin/user_upload/pdf/stellungnahmen/Stellungnahme_Legalisierungsdebatte_Cannabis_DG-Sucht.pdf
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