Der Messerangriff auf ein gleichgeschlechtliches Paar am 4. Oktober 2020 war ein schreckliches Verbrechen, welches uns schmerzlich vor Augen führt, wozu Menschen, getrieben durch Hass und Ideologie, fähig sind.
Die FDP will dieser Tat und den Opfern gedenken. Hierzu hat die FDP-Fraktion den Antrag A0155/20 mit dem Titel „An die Opfer religiös motivierter Gewalt erinnern“ (siehe Anhang) eingereicht.
Obwohl ich das Anliegen grundlegend für sinnvoll erachte, bereitete mir der Antrag als solcher Unbehagen. Darum bat ich die Stadträte der Dissidenten Fraktion, den Antrag in seiner jetzigen Form abzulehnen, und begründete dies wie folgt:
- Der Antrag reduziert den Angriff vollständig auf zwei Faktoren: die Glaubenszugehörigkeit des mutmaßlichen Täters (Titel), sowie die Sexualität der Opfer (Punkt 1). Eine solche Gewalttat auf derlei Simplizität herunterzubrechen, wird den Opfern nicht gerecht.
- Da das Denkmal einen Bezug zu dem angegriffenen Paar haben soll, wird dieses stellvertretend für eine ganze Personengruppe inszeniert, wiederum ausschließlich reduziert auf den Faktor „Homosexualität“. Solch eine Darstellung wäre bspw. bei einer LGBTQIA+ Aktivistin denkbar, da diese sich schon zu Lebzeiten öffentlich für genau diese Gruppe eingesetzt hatte. Nicht jedoch bei Privatpersonen, welche lediglich ein paar schöne Urlaubstage erleben und der Nachwelt sicherlich nicht als Märtyrer in Erinnerung bleiben wollten. Jedenfalls ist mir keine solche Stellungnahme des überlebenden Opfers oder der Angehörigen bekannt.
- Ich kritisiere jedoch nicht nur den Inhalt, auch sprachlich gibt es mehrere Dinge zu beanstanden. Der Begriff „homophob“ ist grundlegend abzulehnen. Phobien, also Angstzustände werden in Verbindung mit bspw. Spinnen (Arachnophobie) oder engen Räumen (Klaustrophobie) gebracht. Bezeichnet man eine Person als homophob, so legitimiert man die Vorstellung, man müsse sich vor einem homosexuellen Menschen fürchten, und rechtfertigt somit das Motiv solch einer Tat. Das ist Unsinn. Wer LGBTQIA+ Personen meiden oder schaden möchte, hat kein Angstproblem, sondern ein Hassproblem.
- Für den Begriff transphob trifft dasselbe zu. Darüber hinaus ist es mir absolut nicht erklärlich, warum die Gedenkstätte ebenfalls an Transpersonen erinnern soll, da der Ort doch explizit Bezug auf die beiden Opfer nehmen soll, von denen meines Wissens nach keines transidentitär ist bzw. war.
- Die Bezeichnung „religiös motivierte Gewalt“ ist ebenfalls abzulehnen. Was soll „religiös motiviert“ heißen? Wünscht jede·r Muslim·a allen Homosexuellen den Tod? Diese Frage lässt sich leicht mit einem „Nein“ beantworten. In der Bundespolitik gilt deshalb seit 2016 die Definition von politisch motivierter Gewalt (PMK) mit religiöser Ideologie. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Religion die Tat nicht begründet, sondern lediglich als Begründung instrumentalisiert wird.
- Auch die Statistik spricht gegen diesen Antrag. Lassen Sie mich jedoch vorab eines ganz klar sagen: Jedes Hassverbrechen und jede Form von Gewalt müssen wir ernst nehmen und auf’s Schärfste verurteilen. Die folgenden Zahlen teile ich Ihnen nicht mit, um jene konkrete Tat kleinzureden oder herabzuspielen. Was ich möchte, ist ein klares Bild der Situation bezüglich politisch motivierter Gewalt aufzuzeigen: Im Jahr 2020 zählte das Bundeskriminalamt 44.692 PMK-Straftaten. Davon entfallen 477 auf den Phänomenbereich religiöser Ideologie, das entspricht 1,07%. In Sachsen zählte das Innenministerium 4.056 Fälle gesamt, davon 31 mit religiöser Ideologie (0,76%). Eine Inszenierung dieses Teilbereiches der PMK durch eine Gedenkstätte würde der Öffentlichkeit ein falsches Gesamtbild vermitteln, den Eindruck der Gefahr verzerren und Vorurteile insbesondere gegenüber dem Islam weiter verstärken.
Aus diesen Gründen appelliere ich an den Dresdner Stadtrat, den Antrag abzulehnen. Allerdings begrüße ich den ürsprünglichen Gedanken, welcher dem Antrag zugrunde lag. Darum würde ich mir wünschen, wenn der Stadtrat und der Oberbürgermeister die Chance nutzen würden, um parteiübergreifend ein neues, verbessertes Konzept zu entwickeln und in Dresden ein Zeichen gegen Hass, Gewalt und politisch motivierte Kriminalität setzen.
Manuel Wolf, Referent der Dissidenten Fraktion im Dresdner Stadtrat